851-0301-07L  Die Zeit erzählen?

SemesterFrühjahrssemester 2017
DozierendeC. Jany
Periodizitäteinmalige Veranstaltung
LehrspracheDeutsch
KommentarMaximale Teilnehmerzahl: 30


KurzbeschreibungEs ist eine Art Selbstverständlichkeit, sich vergangene Zeiten durch erzählerische Darstellung anzueignen. Philosophen und Historiker haben mitunter sogar behauptet, dass die Narration die der Zeit inhärente Ausdrucksform sei. Aber lässt sich Zeit überhaupt erzählen? Was ist das für eine Übersetzungsoperation? Und vor allem: Was geht dabei verloren? Wo liegen die Widerstände?
LernzielDas Seminar soll einerseits die Fähigkeit zur gründlichen Lektüre und zur kritischen Durchdringung von literarischen Texte trainieren. Zweitens soll es ein Grundverständnis für Probleme der narrativen Repräsentation vermitteln, wobei das Verhältnis von Zeitverläufen und Erzählprozessen im Vordergrund steht. Drittens soll es die Frage aufwerfen, ob Literatur (durchaus im Gegensatz zur Historie) etwas von der grundsätzlichen Unverfügbarkeit der Zeit weiß und wie sie dieses Wissen ausdrückt.

Insgesamt geht es darum, die Kategorie der Zeit philosophisch und vor allem literarisch zu reflektieren. Die kritische Einsicht, die vermittelt werden soll, ist die, dass die diskret fortschreitenden Zeit nur eine Weise ist, zeitliche Abläufe zu betrachten. Tatsächlich ist diese gleichmässig getaktete "Uhrenzeit", die insbesondere im technischen Bereich zur Anwendung kommt, bloss ein Spezialfall, eine Abstraktion zum Zwecke der besseren Einteilung und Messung. Das Leben bietet aber ganz andere und viel komplexere Zeiterfahrungen. Literatur macht diese Komplexität erfahrener Zeit anschaulich und stellt ihre komplizierten Taktungen und Überlagerungen dar. Diese Anschaulichkeit ist auch dann noch gegeben, wenn die literarische Darstellung misslingt, wenn sich also zeigt, dass zeitliches Erleben nur unter Verlusten in Sprache übersetzt werden kann.
LiteraturAller Voraussicht nach: Nietzsche, Storm, Thomas Bernhard, Max Frisch, Paul Ricoeur, Hayden White, Hans Ulrich Gumbrecht.